»Vom Bewahren und Verändern«
Das entscheidende Sich-Bewahren und Sich-Verändern
Grundsätzlich scheint es in unserem menschlichen Leben zwei widerstrebende Impulse zu geben:
Dinge zu bewahren und Dinge zu verändern. Menschen versuchen am Bewährtem festzuhalten. Sie bemühen sich um den Erhalt kultureller Güter, um die Pflege der Tradition und der gegebenen Ordnung. Dieser konservativen Haltung steht ein progressives Interesse nach Veränderung gegenüber. Es ist überzeugt, dass Tradition und Ordnung keine Werte an sich sind, sondern einer gegebenen Situation angepasst werden müssen. Dem »alles soll so bleiben, wie es war« steht ein »nichts darf so bleiben« gegenüber.
Praktisch können diese beiden Pole konfliktträchtig in Gruppen oder gemeinsamen Projekten erfahren werden:
Auf der einen Seite stehen diejenigen, die schon seit vielen Jahren Mitglied sind. Sie haben Kraft und Zeit in die Gestaltung der Gemeinschaft und ihrer Aktivitäten gesteckt. Verständlicherweise möchten sie diese erreichte Ordnung bewahren. Sie fürchten um den Verlust ihrer Identität als Gruppe, wenn durchgreifende Veränderungen stattfinden.
Auf der andern Seite finden sie die neuen Mitglieder der Gruppe. Sie bringen neue Ideen mit, die sie umgesetzt wissen möchten. Für sie kann es nicht beim Bestehenden, beim Status Quo bleiben. Sie fürchten eine Erstarrung und eine lähmende Langeweile in der Gruppe. – Die anstehenden Konflikte auszutragen ist mitunter ein schwieriger Prozess.
Bewahren und Verändern findet auch in meinem persönlichen Leben statt. Natürlicherweise brauche ich meine Gewohnheiten. Es entlastet mich, wenn ich nicht jeden Schritt im Alltag jedes Mal neu überlegen muss. Anderseits gibt es auch das gelangweilte „Schon-wieder-das Gleiche“ und ich bin auf Neues und Veränderung aus.
Nun ist es nicht gleichgültig, mit beiden Impulsen umgehen zu können. Denn es passiert mir, dass ich mich in meine Gewohnheiten und Einstellungen verliebe. Manchmal finde ich mich in lebenshinderlichen Mustern gefangen und bin nicht bereit sie aufzubrechen und zu verlassen, auch wenn ich unter den eingefahrenen Lebensvorstellungen leide. Selbst Leiden gibt eine Form der Sicherheit, weil es das Gewohnte ist.
Veränderungen, die festgefahrene Muster aufbrechen, indem ich einfach etwas anderes oder etwas auf eine andere Weise mache, können ein erster Schritt sein. Oft aber reichen willentliche Verhaltensänderungen so wenig wie das Bestreben Äußeres zu verändern allein schon aus.
Alles eigene Bewahren-Wollen und Verändern-Müssen ist Reaktion auf das Leben selbst. Das Leben bietet ständig Unerwartetes und Unvorhergesehenes. Im Leben selbst ist alles im Fluss und ständiger Veränderung. Es entzieht sich meinem Wollen. Es bleibt mir scheinbar nur, mein Wollen sein zu lassen und mich in mein Schicksal zu fügen: »Wer sich in das Schicksal fügt, den leitet es. Wer sich dagegen wehrt, den reißt es mit sich fort.« (Seneca). Das Leben ist eben kein Wunschkonzert. Es ist sinnfrei, sich gegen das zu wehren, was der Fall ist, und etwas anderes zu wollen. Genauso ungeeignet ist es, sich an einen konkreten Zustand oder ein Konzept zu fesseln und es bewahren zu wollen.
Bedeutet das nun eine willenlose Schicksalsergebenheit? Keineswegs!
Jesus sagt: »Wer sein Leben bewahren will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten.« (Lk. 9, 24). Damit ist gesagt, es führt nicht zum gelingenden Leben, wenn ich mich an Gewohntes, an meine Vorstellungen klammere, sondern wenn ich loslasse. Wenn ich sie aber loslasse, dann soll ich mich zugleich ins Vertrauen auf Christus begeben. Deshalb sagt Jesus »um meinetwillen«.
Solch vertrauendes Loslassen bedeutet keineswegs: Mir ist alles egal. Ich ergebe mich willenlos ins Geschehen. Gott wird es schon richten. Es erfordert stattdessen eine entschiedene und entschlossene Haltung des Geistes, ein Mich-zu-mir-Selbst-Zurückholen. Es ist die Haltung, einen gleichmütigen und besonnenen Geist zu bewahren, und zwar sowohl in mühevollen als auch in glücklichen Momenten. Vertrauen auf Gott macht sich weder von den eigenen Sicherheit versprechenden Gewohnheiten abhängig noch von der eigenen Fähigkeit Veränderungen herbei führen zu können. Die Haltung des Vertrauens bedeutet vielmehr »die innere Ruhe zu bewahren«, sowohl wenn Schlimmes oder Glückliches geschieht. Es ist die Haltung der Freiheit.
Wahre Ruhe, ein gleichmütiger Geist entsteht nicht, wie manche meinen, dadurch, dass äußerlich alles in Ordnung und in Frieden ist. »Selbst der äußere Friede an sich wird dir Ängste verschaffen. Nicht einmal durch äußere Sicherheit wirst du Vertrauen haben, wenn erst einmal dein Geist in Panik versetzt ist.« (Seneca) Es hat wenig Sinn, eine äußere verlässliche Ordnung herstellen zu wollen, damit sich meine innere Anspannung und Panik legt. Das Äußere wirkt nicht beruhigend auf das Innere und eine äußere Ordnung führt nicht zu einer inneren. Da kann ich machen, was immer ich will. Umgekehrt aber kann der entschlossen ruhige und besonnene Geist, eine äußere Sicherheit und Ordnung schaffen – allerdings immer nur vorübergehend. Die Dinge ändern sich schließlich und allein Ruhe und Besonnenheit vermag auf Veränderungen entsprechend zu reagieren.
Es ist der besonnene und gleichmütige Geist, es ist das entschlossene Vertrauen, die entschiedene Gott-Gelassenheit, die tatsächlich zu bewahren sind. Wer dies übersieht, findet sich hilflos und unfrei im Dilemma von Bewahren-Wollen und Verändern-Müssen äußerer Dinge wieder. Andererseits – wer sich so selbst bewahrt, kann sich verändern.
Andreas Bader, Pastor