Zweifel ist etwas anderes als Skepsis

Es erscheint heute als Tugend, skeptisch zu sein und ausgeprägtes kritisches Bewusstsein als Grundhaltung zu kultivieren. Skeptisches Nachdenken kommt zum Schluss: Es gibt keine absolute Wahrheit. Man könne nicht sagen, ob etwas absolut gut und wahr sei und müsse sich deshalb eines Urteils darüber enthalten.

Mit dem Zweifeln ist es eine völlig andere Sache. Zweifeln ist kein denkendes, theoretisches Betrachten, sondern ein inneres Empfinden von Ungewissheit. Wer zweifelt ist sich ungewiss und unsicher, ob jemandes Aussage zu trauen, ob eine Handlung tatsächlich gut oder richtig ist oder ein Vorhaben gelingen kann. Aber der Zweifel stellt deshalb keinesfalls Wahrheit prinzipiell in Frage. Der Zweifelnde sucht Vergewisserung. Er sucht die Wahrheit. Deshalb schließt der Zweifel die Wahrheit nicht aus. Er setzt sie vielmehr voraus.

Im Neuen Testament ist von »Zweifel« im Zusammenhang von Glaube und Vertrauen die Rede. Als der klassische Zweifler gilt allenthalben der Apostel Thomas (Joh. 21, 24ff.), auch wenn das Wort »zweifeln« in der kurzen Episode der Begegnung von Thomas mit dem auferstandenen Jesus gar nicht vorkommt. Dass die anderen Jünger den Herrn gesehen hätten, reicht Thomas nicht. Er sucht eine letzte Vergewisserung, den Beweis der Auferstehung, indem er mit seinen Fingern die Nägelmale Jesu berühren will. „Wenn nicht, … kann ich’s nicht glauben.“ (V. 25). In der Berührung des Auferstandenen bekommt er tatsächlich den gewünschten Beweis und findet zu Vertrauen und Glauben: „Mein Herr und mein Gott!“ Aber die Antwort Jesu lautet: „Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ Glaubendes Vertrauen geschieht ohne einen äußeren Beweis.

Zweifel und Glauben sind auch an einer anderen prominenten Stelle im Neuen Testament wie zwei Seiten derselben Medaille. Seine zweifelnde Unsicherheit lässt Petrus auf dem Weg über das Wasser sinken. Sofort aber ist Jesu rettende Hand da, um ihn zu halten. Der Zweifel erscheint als Ausdruck gefährdeten Vertrauens und beinhaltet zugleich den Aufruf ins Vertrauen, sowie der Zweifelende ja im Grunde nach der Wahrheit sucht.

In späterer Zeit wird der Glaubenszweifel über die Jahrhunderte hin zum Gegenstand des Nachdenkens. Schon der Kirchenvater Augustin beschäftigte sich damit. In besonderer Weise aber der Philosoph und Mathematiker Descartes. Er radikalisiert den Zweifel: Es sei möglich, dass alles, was wir sehen, alle unsere Vorstellungen nur ein Traum sind. Wenn so alles bezweifelbar ist, was ist dann noch gewiss? Für Descartes war es das Wissen des Zweifelnden um sich selbst. Er weiß, dass er selbst da ist, auch wenn er zweifelt. Daran, dass er denkt und zweifelt, kann er nicht wiederum zweifeln.  – Auch nicht, wenn er Skeptiker ist.

In dieser Perspektive hat das Zweifeln eine klärende und deshalb gesunde Funktion. Es befreit mich von Vorstellungen, die doch alle bezweifelbar sind. Ich werde keine Überzeugung mehr in absoluter und dogmatischer Weise vertreten, noch mich selbst an sie binden.

Allerdings ist das nur dann der Fall, wenn ich mir bewusst bleibe, dass der gewisse Grund meines Lebens in mir selbst und damit in Gott liegt. Zu zweifeln ist nur dann gesund, wenn es mich zu mir selbst führt und das heißt, ins Vertrauen, dass »Gott« in mir da ist, ohne jeden äußeren Beweis, ohne jeden Grund in den Vorstellungen.

Andernfalls tut sich das Fatale des Zweifels auf: Er führt statt ins Vertrauen in einen »Zweifelskreislauf«. Der Zweifel wird total. Ich verharre im Zweifel und der eigenen Ungewissheit, im Zustand der Hoffnungslosigkeit und Ver-zweiflung.

Gesund ist der Zweifel, wenn ich weiß, dass alle Dinge der Veränderung unterworfen sind. Darin liegt für mich die Möglichkeit, mich anzupassen, flexibel zu sein und neue Informationen aufzunehmen. Gerade als Zweifelnder weiß ich, dass ich kein Roboter bin, der einmal programmiert, stets auf die gleiche Art verfährt. Ich habe keinen »eisernen« Willen, sondern einen anpassungsfähigen. Genau darin liegt dann meine Stärke und das macht mich widerstandsfähig. Aber ohne die Gewissheit, in mir selbst und in Gott geborgen zu sein, wird Zweifeln zur Verzweiflung.

Zweifeln ist kein Skeptizismus. Er bleibt auf die Wahrheit bezogen. Zweifeln führt auf den Weg, ich selbst zu sein. Es führt zu mir selbst und damit zu Gott. Auch für Descartes war es deutlich: Das »ich denke, d.h. ich bin«, bedeutet zugleich »Gott ist.« Wenn ich in dieser Weise darüber nachdenke, haben auch die Zweifel des Thomas und des Petrus beide zu Jesus geführt. Der Zweifel ist kein Gegner des glaubenden Vertrauens, sondern das Zeichen dafür, wie wichtig Vertrauen ist. Er ruft zum wahren Vertrauen. Dann ist Zweifeln gesund!

Andreas Bader, Pastor