Wie wichtig es ist, jeder anderen auf »Augenhöhe« zu begegnen.
Für gewöhnlich erwarten Menschen einen Lohn für das, was sie tun. Das ist nicht nur so, wenn es um den sogenannten Broterwerb geht. Auch wenn man jemandem einen Gefallen tut, gibt es die Erwartung einer Revanche. Wer sich anstrengt, erwartet den Erfolg der Bemühung und ist enttäuscht, wenn dieser nicht eintritt.
Manche richten ihr Handeln fast ausschließlich danach aus, dass sie einen Gewinn erzielen. Für sie ist es das Ziel einen „guten“ Beruf zu erlernen, um entsprechend wohlhabend zu werden. Viel Ehrgeiz wird aufgewendet, um schneller ans Ziel zu kommen, besser zu sein als die andere, zu siegen. Wettbewerb und Vergleich bestimmen das Handeln. Werbung weckt Bedürfnisse, deren Befriedigung die Ziele setzt. Die Stimmung ist nicht selten eine wesenhafte Unzufriedenheit.
Aber sind Ehrgeiz, immer mehr Gewinn, Befriedigung immer neuer Bedürfnisse Kriterien für ein gutes Handeln? Führt dieser scheinbar ewige Kreislauf der modernen, globalisierten Gesellschaft zu einem glücklichen Leben? – Wohl kaum, wird man, so direkt gefragt, sagen. Und dennoch können nur wenige diesen Zwängen entgehen. Manchmal halten es die Menschen sogar für naturgegeben. Es müsse eben so sein.
Es gibt allerdings Alternativen. Es gibt z.B. prominente Musiker, die ohne jede Gage in kleinen Clubs auftreten, einfach nur weil sie Freude am Musizieren haben. Obwohl sie zu den Weltbesten gehören und sonst mit ihren Gigs ein Vermögen verdienen, treten sie dort auf. Niemand zwingt sie dazu. Sie tun es, weil sie einfach mögen, was sie tun und gut können. Sie musizieren um des Musizierens selbst willen, zweckfrei. Sie erwarten keinen Applaus, keine Belohnung, keine Gegenleistung. Ihr »Lohn« ist, ganz bei sich selbst, ganz bei ihrer Sache zu sein und darin aufzugehen. Ihre Belohnung ist zu musizieren und damit zugleich die Freiheit aller Ansprüche und Erwartungen anderer, frei von dem Vergleich und dem Wettbewerb, frei für sich selbst und darin ruhend.
Marc Aurel hat diese Freiheit in der Unmittelbarkeit des eigenen Lebensvollzuges, im schlichten Tun dessen, was man eben gelernt hat und kann, als Ziel seines Leben verstanden. In seinen Selbstbetrachtungen, so etwas wie einem Denk-Tagebuch für sich selbst, schreibt er: »Liebe die kleine Kunst, die du erlernt hast; in ihr komme zur Ruhe. Lebe jeden weiteren Tag deines Lebens so, dass du den Göttern alle deine Dinge mit ganzer Seele anvertraust. Und mach dich keinem Menschen gegenüber weder zum Tyrannen noch zum Opfer.«
Wer bei sich ist und in sich ruht, der kann anderen »auf Augenhöhe« begegnen. Er hat es nicht nötig, sich über den anderen zu erheben. Er ist frei von dem andauernden Siegen- und Haben-Müssen – vielleicht nur, um sich zu beweisen, dass man da sein darf. So jemand ist andererseits frei davon, sich klein machen zu müssen und sich als ein Sklave anderer zu verstehen. Er hat es nicht nötig, Wohlverhalten an den Tag zu legen, damit er sich die Gunst seiner Umgebung verdient, um nicht zu sagen: erbettelt.
Sich auf »Augenhöhe« mit anderen zu wissen, befreit dazu, in eigener Entscheidung das Gute für andere zu tun. Nicht weil ich von jemandem dafür eine Gegenleistung erwarte, nicht um ihr meine Gut-Tat bei nächster Gelegenheit unter die Nase zu reiben. Ich tue es, weil es mir selbst jetzt als das Gute und Passende erscheint. Ich tue es spontan, wie ein Weinstock eben Trauben hervorbringt, eine Biene Honig sammelt, eine Rose einfach blüht. Ich bin bei mir selbst, so wie mich Gott gewollt hat.
Andreas Bader, Pastor