Freiheit aber gibt es erst im Durchbrechen der Gewohnheit.
„Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“, lautet ein bekanntes Sprichwort. Während einige sich in ihren Gewohnheiten ausruhen und entspannen können, werden andere beim Stichwort »Gewohnheit« sofort nervös. Sie empfinden sogleich einen bitteren Beigeschmack, wenn sich etwas einschleift: Monotonie und Langeweile in Beziehungen, Verweigerung von Veränderung im politischen und persönlichen Leben werden assoziiert.
Gewohnheit hat ihren Nutzen. Schnell gewöhnt man sich an beständige Dinge, das eigene Haus oder die eigene Wohnung. Wie anders sollte man sich zurechtfinden. Gewohnheiten bieten praktische Verlässlichkeit, ohne die wir heillos überfordert wären. Durch ständige Wiederholung werden bestimmte Handlungsabläufe eingeübt, bis sie automatisch ablaufen. Jeder, der sicher Fahrrad oder Auto fahren kann, muss nicht mehr darüber nachdenken, wie sie sich auf ein Zweirad setzt oder wie er beim Auto den ersten Gang einlegt. Über die eigene Morgen-Routine, das Zähneputzen nach der Mahlzeit, in welche Richtung wir beim Überqueren der Straße zuerst blicken, müssen wir nicht mehr entscheiden. Gewohnheiten, Routinen und Rituale entlasten und bewahren uns vor einem Dauerhagel von Entscheidungszwängen. Sie sparen uns damit einen großen Teil von Energie. Etwa 50% unserer Entscheidungen treffen wir instinktiv.
Andererseits ist auch der Nachteil der Gewohnheit deutlich. Im alltäglichen Miteinanderleben führen Gewohnheiten häufig genug zu Spannungen. Jeder kennt die Diskussionen über die richtig ausgedrückte Zahnpastatube oder in welcher Richtung die Klopapierrolle abzurollen ist.
Das soziale Umfeld und die Gesellschaft haben ebenfalls augenscheinlich feste Vorstellungen davon, was „schlechte“ Gewohnheiten sind. Nicht zuletzt durch die sozialen Netzwerke gepuscht steht das Thema Sport im Mittelpunkt. Ein Dasein als übergewichtige Couch-Potato ist kaum akzeptabel. Entsprechend vielfältig ist das Angebot an Fitnessstudios und Diätratgebern zum Body Shaping, gefolgt von psychologischen Tipps zur Überwindung des »inneren Schweinehundes«. Der gesellschaftliche Druck zur Veränderung von „schlechten“ Gewohnheiten ist groß. Wie erfolglos er ist, zeigt sich am Scheitern der „guten Vorsätze“ kurz nach dem Beginn eines neuen Jahres.
Die Psychologie bewertet Gewohnheiten negativ, wenn sie zu eingefleischten Verhaltensmustern werden, die nicht lebensdienlich sind. Wer in Streit und Konflikten ständig meint als Sieger hervorgehen zu müssen, wird dabei eine Menge Energie aufwänden – bei allenfalls mäßigem Erfolg. Es gibt so etwas wie ein Verharren im Leiden, weil man sich daran gewöhnt und sich darin eingerichtet hat. Alle eingefleischten Bewältigungsstrategien führen wiederum nur zu leidvollen Erlebnissen.
In der Antike waren Philosophen der Auffassung, dass es keine Veränderung und Verbesserung der persönlichen Situation gibt, ohne sich auf die eigene Entscheidungsfähigkeit zu konzentrieren. Solange ich mich von Gewohntem, schwierigen Verhaltens- und Denkmustern abhängig mache, entscheide nicht ich selbst. Epiktet gibt hier einen praktischen Rat: »Versuche das Gegenteil zu tun!« Mit ähnlicher Zielsetzung spricht der christliche Mystiker Meister Eckhart davon, der Mensch müsse »die Dinge durchbrechen«, sich aus der gewohnten Abhängigkeit von ihnen befreien, um Gott in allem sehen und in sich empfinden zu können. Bei Gott, in der Freiheit von aller Abhängigkeit und Gewohnheit, werden sich neue Wege eröffnen. In dieser Freiheit sind Veränderung und das Durchbrechen eingefahrener Muster möglich. Ein praktischer Schritt dorthin kann sein: Versuche das Gegenteil! – Wissend, dass Gott in dir wohnt und dich hält.
Andreas Bader, Pastor