Festen Boden unter den Füßen finde ich, wenn ich loslasse, ohne vor Problemen wegzulaufen.
Die meisten Menschen sind lebenslang besorgt um ihre Sicherheit. Dies dokumentiert sich schon an der unüberschaubaren Vielzahl von Versicherungen: angefangen von Haftpflicht- und Hausratversicherungen reicht sie bis zu sogenannten »Lebensversicherungen«. Der Begriff ist irreführend. Denn es wird hier nicht das eigene Leben versichert, sondern allenfalls das Auskommen derer, die bei meinem Todesfall nicht mittellos dastehen sollen.
Grundsätzlich sind Versicherungen sinnvoll, wenn ich mir ihrer Grenzen bewusst bleibe. Das Leben selbst aber kann man nicht versichern. Deutlicher gesagt, es gibt im Leben keine Sicherheit, wenigstens keine letzte. Doch hindert mich diese Einsicht tatsächlich daran, es nicht doch wieder und wieder zu versuchen? Wenn ich etwa versuche, meine Zukunft zu planen und auszurechnen, – selbst, wenn ich insgeheim weiß, dass in die Zukunft nur ein undeutlicher Blick möglich ist. Bleibe ich dann nicht häufig im eigenen planenden, absichernden Denken stecken und gefangen? Treiben mich nicht Angst und Erschrecken vor den Ereignissen dazu, gedanklich neue Vorkehrungen zu treffen, die mich demnächst davor schützen sollen?
Das Leben lässt sich aber weder »ausrechnen« noch »sicherstellen«. Nichts ist so gewiss und sicher wie die Veränderung. Wer sich aber um eine lückenlose Sicherheit müht, wird endlich feststellen, dass er sich damit in absolute Unsicherheit und Verunsicherung treibt.
Die Sorge um die Sicherheit ist die Suche nach »Halt« im Leben, danach mit beiden Füßen fest auf dem Boden zu stehen. Das kann ich nicht erreichen, indem ich versuche, äußere Bedingungen herzustellen und auszurechnen. Paradoxerweise ist »Halt«, der feste Standpunkt, nur durch das Loslassen zu finden. »Alle Menschen suchen in ihrem Leben nach Halt. Dabei ist der einzige Halt das Loslassen«, schreibt Hape Kerkeling von seinen Erlebnissen auf dem Jakobsweg. Loslassen bleibt ein Wagnis. Der Philosoph und Theologe Paul Tillich bemerkt: »Das Leben erfordert immer wieder den Mut, eine gewisse oder sogar alle Sicherheit für eine volle Selbstvergewisserung aufzugeben.« Nur wenn ich mich selbst loslasse, kann ich zu mir kommen, den Halt in mir selbst finden und mit beiden Füßen fest auf dem Boden stehen. Loslassen heißt niemals, vor den Problemen davonzulaufen, sondern mich ihnen zuzuwenden und mich ihnen zu stellen, aber eben in besonnener Distanz.
Wenn mich das Gedankenkarussell von Sorgen und Befürchtungen im Kopf schwindelig werden lässt und ich auf keinen Grund komme, wenn Unbeschwertheit und Leichtigkeit zur absoluten Mangelware werden, wenn ich nicht mehr weiß, wie ich bei alledem ein Stück »Himmel« in den Kopf bekommen kann, dann wird deutlich, wie wichtig Bodenständigkeit und Bodenkontakt sind. Davon singt die bayerische Kabarettistin Martina Schwarzmann. Sie findet, dass man so auch für die Schwerkraft dankbar sein kann, die auf dem Boden hält, die spüren lässt, von der Erde getragen zu sein. Dies ist nur möglich, wenn ich loslasse, nicht weiterfahre im Karussell der Gedanken, Ängste und Sorgen. Wie komme ich nur darauf zu meinen, dass ich Sicherheit erlange, indem ich mir Sorgen mache?!
Jesus weist immer wieder auf die gleiche Sache hin: »Wer ist unter euch, der durch Sorgen um Sicherheit sein Leben verlängern könnte?« (Mt. 6, 27) Wer im Sorgen um die eigene Absicherung »sein Leben erhalten will, der wird es verlieren.« (Mt. 16, 25). Also lasst los, »kommt zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch eure Last abnehmen.« (Mt. 11, 27). Lasse ich mich los, ist Christus da. Ich spüre wieder Boden unter den Füßen, werde von meiner Mitte getragen. Die Hinwendung zu Ihm brauche ich in jedem Augenblick und die beste Zeit, sich keine Sorgen zu machen, ist immer »jetzt«.
Andreas Bader, Pastor
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