Wie die biblischen Aussagen der Apokalypse missverstanden werden.
Im Zusammenhang mit der immer noch währenden Pandemie fällt – nicht nur in den sozialen Medien ‑ immer häufiger der Begriff »Apokalypse«. Damit werden im Allgemeinen Vorstellungen vom Weltuntergang mit den schrecklichen Ereignissen einer kosmischen Katastrophe verbunden. Für Krisenzeiten mit wachsenden Ängsten sind derartige Weltuntergangsstimmungen charakteristisch. Klimaschutzaktivisten z.B. prophezeien eine Strafe der Natur, eine neue »Sintflut«, wenn es nicht zu einem radikalen Systemwechsel komme.
Damit wird im nicht-religiösen, säkularen Bereich ein altes biblisches Motiv wieder lebendig. Auch der Begriff der »Apokalypse« entstammt der Bibel. Wird heute die COVID-19 Pandemie in den Zusammenhang apokalyptischer Weltuntergangs-Szenarien gebracht, fordert das dazu auf, einige fundamentale Missverständnisse auszuräumen.
»Apokalyptik« bedeutet im eigentlichen Sinne, den »Schleier« zurückzuziehen, die eigentliche Realität zu offenbaren. Sie benutzt dazu allerdings Bilder katastrophaler Endzeitereignisse: „Sterne fallen vom Himmel“ oder „der Mond verwandelt seine Farbe in Blut“. Es sind Szenarien wie in gegenwärtigen Science-Fiction-Filmen: Menschen finden sich plötzlich in einer Welt wieder, in der nicht mehr gilt, was man gewöhnlich für „normal“ hält. Alles, was sonst den Alltag bestimmte, ist bedroht, wird verboten. Es ist wie ein Schock, eine grundlegende Verunsicherung. Alles scheint zusammenzubrechen und gänzlich außer Kontrolle zu geraten. Wen wundert es, wenn einige versuchen, diese dadurch wiederzuerlangen, indem sie es verweigern, Masken zu tragen oder provokativ die Schutzbestimmungen bei großen Versammlungen zu ignorieren?
Aber der eigentliche Sinn der biblischen Apokalyptik ist nicht, ein Ende der Erde und eine finale Naturkatastrophe zu prophezeien. So finden sich in den »Apokalypsen« der ersten drei Evangelien – inmitten der Schilderungen von Kriegen und Erdbeben – Aussagen, die ihren wirklichen Sinn zeigen. Matthäus bezeichnet die katastrophalen Schilderungen als »Beginn eines Geburtsgeschehens« (Mt. 24,8). Es geht um eine Geburt und nicht um den Tod. Apokalyptische Bilder sind im Kern keine Bedrohung, auch wenn sie traditionell so verstanden wurden. Jedoch: Alles, was die eigene, gewohnte Normalität durcheinanderbringt, empfindet eben unser Ich als bedrohlich – aufs Ganze gesehen ist es das aber nicht.
In der Apokalypse des Lukas sagt Jesus mitten in der Beschreibung der Katastrophen: „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr euer Leben gewinnen“ (Lk. 24,19). Mit anderen Worten: Der Zerfall der Welt ist keine Strafe, sondern er geschieht zur Erneuerung. Und wenn Jesus am Ende der Markus-Apokalypse viermal zum „Wachsam Sein“ aufruft (Mk. 13, 32-37), will er sagen: ‚Nimm nichts für selbstverständlich und als sicher gegeben. Lerne, dass sich alles ändert, verändert und vergeht.‘ Was aber bleibt und gerade nicht vergeht, ist die eigentliche Realität, die Gott selbst ist: »Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen.« (Mk. 13, 31)
Was wäre, wenn es nicht um das Ende der Welt, der Erde und des Kosmos ‚da draußen‘ geht, sondern um das Ende unserer „Welten“, Gewohnheiten und Sicherheiten, die wir uns selbst geschaffen haben? Wenn sie durcheinandergeraten, wenn wir die Kontrolle verlieren, uns alles zerrinnt, wenn wir loslassen müssen, dann ist das allerdings schmerzhaft, zuweilen katastrophal, so sehr sind wir unseren Bildern und unserem Sicherheitsbedürfnis verhaftet. Im letzten Buch der Bibel, der »Offenbarung« oder Apokalypse des Johannes ‑ versucht Johannes zu beschreiben, wie sich das anfühlt. Aber seine Beschreibungen sind keine äußere Bedrohung und keine Strafe Gottes. Sie sind eine Einladung in die Tiefe der eigenen Existenz und zur eigentlichen Realität. In diese Tiefe zu gelangen, bedeutet zur immerwährenden Wirklichkeit aufzuwachen und endlich den Kampf gegen das, was ist, zu beenden. Können wir bejahen, was ist, öffnen sich uns die Möglichkeiten zu einem guten Handeln in der Zukunft – auch im Blick auf die Pandemie.
Andreas Bader, Pastor
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