Was wir von der „Ever Given“ lernen können
Vor gut zwei Wochen lief das Containerschiff „Ever Given“ im Suez–Kanal auf Grund und blockierte eine der wichtigsten Seefahrtsrouten zwischen Europa und dem Nahen und Fernen Osten. Die „Ever Given“ gehört zu den größten Containerschiffen der Welt. Das Monstrum ist knapp 400 Meter lang – mehr als dreimal so lang wie ein Fußballfeld und gut 32m hoch – so hoch wie drei Einfamilienhäuser übereinander. 15 Exemplare davon sind auf den Weltmeeren unterwegs. Sie fassen jeweils gut 20.000 Container, vollgeladen mit allem möglichen, was für die hiesige Produktion benötigt wird. Nicht nur dass die an Bord befindlichen Teile fehlen, die Havarie des Bootes verursachte einen Rückstau von mehr als 400 anderen Schiffen, was die Lieferketten und die Ölversorgung hierzulande ernsthaft bedroht. Dabei ist das nicht das erste Unglück mit der „Ever Given“: Schon Anfang 2019 kollidierte der Frachter im Hamburger Hafen mit einer Fähre, die dabei ernsthaft beschädigt wurde.
Warum solche Meeresgiganten überhaupt gebaut werden, liegt klar auf der Hand. Es geht um Kostenreduzierung und damit die Erhöhung von Gewinnen. Kurz, es geht – negativ ausgedrückt – um Habsucht, um Geiz und Gier. Die Habsucht zählt seit dem 4. Jh. n. Chr. in christlicher Lehre zu den menschlichen Charaktereigenschaften, die man „Hauptsünden“ oder „Todsünden“ nennt, weil sie eben das eigene Leben grundlegend zerstören können. Das Leid, was sie zufügen, ist kein von außen gegebenes, sondern durch das Haben-Wollen des Menschen selbst bedingt.
Nun wissen die meisten Menschen darum, dass sie nicht durch Geld und Besitz glücklich werden können. Trotzdem versuchen sie möglichst viel davon anzuhäufen, weil es eben «beruhige«. In einer Gesellschaft immer größerer Häuser, stetig wachsender Besitztümer und so auch immer gigantischer Containerfrachter wird allzu leicht übersehen, dass dieses ständige Wachstum insgeheim Kosten verursacht, und sei es nur, dass wir für die Lagerung bezahlen in den eigenen Garagen und dem eigenen Kopf. Allzu leicht gerät aus dem Blick, welcher Aufwand damit verbunden ist, den man aus dem Portmonee der eigenen Lebensqualität zahlt. Der Philosoph Seneca z.B. gibt dazu diesen Rat: Bei all den Dingen, denen wir hinterherjagen sollten wir uns überlegen: »Entweder gibt es in ihnen nichts Nützliches oder sie sind zu nichts zu gebrauchen. Einige sind ohnehin überflüssig und andere nicht viel wert. Aber wir betrachten sie als gegeben und übersehen, was sie uns alles gekostet haben und noch kosten.« Wer solche Hinweise in den Wind schlägt und seinem Besitzen-Wollen bedingungslos und dauerhaft folgt, der ist nicht nur davon abhängig, sondern dem wird diese Gier zu einer »Krankheit«, einer Besessenheit, die zuletzt körperliche und psychische Konsequenzen hervorruft.
Jesus selbst weiß unter anderem in seiner Bergpredigt von dieser Gefahr des Besitzes zu sprechen: »Selig sind die im Geiste Armen.« sagt er gleich an dessen Anfang – übertragen: Glücklich sind, die sich im Geiste frei halten von allem Begehren, aller Gier, aller Habsucht. »Denn ihnen gehört das Himmelreich.« (Mt. 5,3) Mit anderen Worten, sie sind im Himmel, wenngleich sie mit beiden Füßen auf der Erde stehen.
Nun reicht es nicht, sich selbst laufend den Rat Senecas oder Jesu Seligpreisung vor Augen zu halten. Eben dazu ist Jesus gestorben und an Ostern auferstanden, damit klar wird, dass ich es nicht durch mich selbst schaffe. Dass ich mich nicht selbst auferstehen lassen kann, sondern Auferstehung an mir geschehen lassen muss. Ostern ist das Befreit-Werden von allem, was mich am seligen, glücklichen Leben hindert. So kann ich auferstehen zum Leben aus aller Verstrickung in Habsucht und Gier und damit lernen, mich nicht gleich wieder darin zu verstricken. Mit Habsucht und Gier ist es wie mit Monsterfrachtern wie der „Ever Given“: Sie blockieren den Kanal meines Lebens und halten die Dinge auf, die durch diesen Kanal fließen wollen.
Andreas Bader, Pastor